Eine Reisereportage von Sebastian Philipp | Fotograf | Wien
Ganz plötzlich hatte diese Stadt, mit dem alten und klingenden Namen Tiflis, mein Interesse geweckt! Tbilissi, wie sie die Georgier nennen: Die für Deutschsprachige schwierig auszusprechende Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien war 2022 wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Gefährdet, eines der nächsten Opfer des russischen Imperialismus zu werden.
Das Land am Rande Europas hat nicht nur viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, sondern auch russische Wehrdienstverweigerer, die sich nicht an dem verbrecherischen Überfall Russlands auf die Ukraine beteiligen wollten.

Was macht diese Stadt aus, die überraschenderweise als eine der sichersten Europas gilt? Hatten nicht in den 90er Jahren noch kriminelle Banden die Straßen regiert und war nicht der Staat damals durch und durch von Korruption verseucht?
Tbilissi gilt als zweitbeste Stadt für Auswanderer, weltweit! Ganz im Gegensatz zu meiner Heimatstadt Wien, der unfreundlichsten Stadt der Welt, wenn es um die Eingewöhnung von Zuwanderinnen und Zuwanderern geht. Auch das machte neugierig.
Diese Stadt, dieses Land musst du sehen, dachte ich mir. Und kaum hatte ich mich entschieden, ging es schnell. Eine leistbare Direktverbindung von Wien nach Tiflis, überrauschend eine Woche ohne Fototermine und schon war ich auf Streifzug durch diese wunderbare Stadt. Das alles letztes Jahr, im November 2022.
Überblick:
- Was für eine Begrüßung
- Erste Eindrücke
- Ein Hauch Berlin der frühen 90er-Jahre
- Längst angekommen im hippen Hier und Jetzt
- Allgegenwärtig: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine
- Georgien, am politischen Scheideweg
- Online Galerie mit allen Fotos
Was für eine Begrüßung
Untergekommen war ich im Gallery Palace Hotel und wurde mit diesem Blick aus dem Hotelfenster belohnt: Das Verwaltungsgebäude der Georgischen Regierung erstrahlte atemberaubend in der Morgensonne.

Erste Eindrücke
Aus fotografischer Sicht gilt es Tbilissi eher in den Morgenstunden zu erkunden, denn die Stadt liegt im Süden und Westen eingebettet in den Sololaki-Gebirgskamm und den Hausberg der Hauptstadt, dem Mtatsminda. Die Sonne verläuft quasi hinter diesen Bergen. Was je nach Jahreszeit dazu führt, dass viele Stadtteile nachmittags im Schatten liegen. Ende November war die Atmosphäre am frühen Abend dadurch etwas düster und ich konnte auf meinen fotografischen Stadtspaziergängen auch nicht auf die goldene Abendstunde setzen. Das mag im Hochsommer anders sein, ich bin gespannt.
Ein Hauch Berlin der frühen 90er Jahre
Als ehemaliger Ost-Berliner, der in der Wendezeit oft in seiner alten Heimatstadt war, erinnert mich das Sololaki-Viertel im alten Zentrum Tbilissis teilweise an das Ostberlin der Umbruchzeit. Auch in Berlin waren es die zentralen Bezirke, die Anfangs den meisten Charme ausgemacht haben. Die bauliche Grundstruktur ist im Zentrum Tbilissis teilweise immer noch sehr schlecht. Aber überall sprießen spannende Initiativen aus dem Boden, wie farbenfrohe Knospen und Blüten nach einem harten grauen Winter. Man spürt regelrecht die aufblühende, kreative Kraft der Stadt.
Längst angekommen im hippen Hier und Jetzt
Nur 15 Minuten zu Fuß in nördlicher Richtung ist man mitten in einer Zeitreise. Die Gegend rund um das Vake-Viertel ist bereits viel stärker gentrifiziert. Mit allen Vor- und Nachteilen, die wir aus anderen Metropolen kennen. Renovierte Häuser, coole Cafés an jeder Ecke, aber auch steigende Mieten.

Allgegenwärtig: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine
Bei meinem Besuch im November 2022 war der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine schon ein halbes Jahr im Gange. Zu dieser Zeit waren bereits über 30.000 Menschen aus der Ukraine nach Georgien geflohen. Viele davon Kinder. Die meisten Flüchtlinge kamen aus den Regionen Kiew, Charkiw und Odessa. Viele haben sich in der Hauptstadt Tiflis niedergelassen, aber auch in anderen Städten wie Batumi und Kutaissi gibt es große Flüchtlingsunterkünfte. Die georgische Regierung hat den Flüchtlingen humanitäre Hilfe angeboten, darunter Lebensmittel, Unterkünfte, medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung. Überall sind Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und der Ablehnung des Angriffskrieges Russlands zu sehen.
Das kleine Land Georgien, mit seinen gerade mal 3,7 Millionen Einwohnern, gilt als sehr gastfreundlich. Aber die aktuelle Situation droht Georgien und dessen Gastfreundschaft überzustrapazieren. Während die Ukrainer immer noch die volle Unterstützung der Georgier genießen, wird den Russen teilweise mit Skepsis bis Ablehnung begegnet. Oft habe ich das Argument gehört, die jetzt in Georgien lebenden russischen Männer würden “nur” vor der Mobilisierung flüchten, sich quasi “drücken” und wären “nicht wirklich” gegen Putin. Andererseits habe ich mich mit einem jungen russischen Mann unterhalten, der überglücklich war, in Georgien leben zu dürfen, und sich in Tbilisi sehr aufgehoben fühlt.

Am politischen Scheideweg
Der Rückgang von Straftaten in Tbilisi um mehr als 50 % war vor allem ein Verdienst des im Jahr 2004 gewählten Präsidenten Georgiens, Micheil Saakaschwili. Er hat die georgische Polizei in seinem ersten Regierungsjahr kurzerhand aufgelöst und neu gegründet. Er war der Meinung, dass die Polizei korrupt und ineffektiv war. Die neue Polizei wurde nach westlichen Standards wieder aufgebaut.
Der ehemalige Präsident Micheil Saakaschwili ist in der Bevölkerung beliebt, aber auch nicht unumstritten. Seine Rolle im Kaukasuskrieg 2008 wurde kritisiert und ihm wurden totalitäre Ambitionen unterstellt. Im Jahr 2013 verlor Saakaschwili die Präsidentschaftswahlen an Giorgi Margwelaschwili. 2021 ist er nach seiner Rückkehr aus dem ukrainischen Exil verhaftet worden und befindet sich derzeit immer noch in Haft. Ihm wird Korruption vorgeworfen. Die EU und die USA fordern seine Freilassung. Seine Verhaftung gilt vielen als politisch motiviert und erschwert neben anderen Problemen die Annäherung an die Europäische Union.
Tbilissi und Georgien macht Lust auf mehr. Derzeit bin ich für zwei Wochen im Land und werde in meinem Blog berichten!
Sebastian Philipp | Fotograf | Wien
Alle Fotos in meiner Online Galerie:
